Von außen ist es immer sehr leicht, eine gute von einer schlechten Beziehung zu unterscheiden. Und auch den Beteiligten ist oft klar: So kann es nicht weitergehen! Dennoch fällt vielen den Absprung schwer.
Die Gefühle sind das eine, die Angst vor dem Alleinsein das andere. Und der Mangel an Perspektiven und an Mut, sich zu lösen von etwas, das einem schadet – und dann erstmal vor dem Nichts zu stehen …
Oft sind es auch üble Gewohnheiten unserer Eltern, wenn wir beispielsweise nicht vorgelebt bekamen, Grenzen zu ziehen oder unsere Grenzen nicht akzeptiert wurden. Oder wenn wir Gewalt schon früh erlebt haben und sie daher als normal ansehen. Auch wenn wir es gewohnt sind, klein gemacht zu werden, kann es dazu führen, dass wir uns keine adäquaten Partner suchen.
Hier erzählt Sanna – der Name ist ein Pseudonym, weil ich grundsätzlich diese Geschichten nicht mit Nennung der echten Namen publiziere – ihre Geschichte. Die Geschichte, die mit Liebe begann und mit Gewalt erfüllt wurde und die sie schließlich nicht zerbrechen, sondern zu einem stärkeren Menschen werden ließen.
Ich, MAMA BERLIN, finde es wichtig, immer wieder über die zerstörerischen Tendenzen von Beziehungen aufzuklären, damit wir lernen, diese zu sehen, aber auch zu verstehen, was das mit uns zu tun hat. Es ist wichtig, dass wir uns klar darüber werden, wie wir da hinein geraten sind. Wir müssen unsere Verantwortung schärfen, damit wir uns Menschen suchen, die uns gut tun. Ein aktives, selbstbestimmtes Leben führen.
Wenn Du selbst Opfer von Gewalt wurdest: Suche Dir Hilfe. Alleine schaffst Du es nicht. Dann musst Du es schaffen, Grenzen zu ziehen. Einen Riegel vorschieben, wenn Du merkst, dass Dir etwas nicht gut tut. Falls Du merkst, dass Dir hier ein gesundes und schnelles Gespür für Deine Bedürfnisse fehlt, kannst Du es mit Hilfe einer Psychotherapie lernen.
Außerdem wichtig: Breche Dein Schweigen. Sprich über das Erlebte, zeige anderen, dass Du Hilfe brauchst und sprich über Deine Verletzungen. Behandele es nicht als Tabu-Thema, sondern sehe, dass es vielen passiert und letztendlich jeder und jede einen Weg finden muss, für sich selbst einzustehen. Auch ich habe das gemacht, viel Zuspruch bekommen. Es war wichtig.
Lest hier Sannas Geschichte, wie sie sich befreite und heute eine selbständige, alleinerziehende Mutter ist …
Ich fand ihn nett, wie er da so unbeholfen herumdruckste
Wir hatten heimlich geheiratet. Er war Mitglied einer durchaus bekannten Rockband, wir waren seit drei Jahren ein Paar und führten eine Fernbeziehung über zwei Länder hinweg. Meist sahen wir uns, wenn er nicht gerade mit seiner Band durch die Weltgeschichte reiste, manchmal auch ein oder zwei Tage auf Tournee. Als Freiberuflerin konnte ich mir meine Arbeit relativ flexibel einteilen. Meine Studentenbude hatte ich nach Abschluss meines Studiums vor zwei Jahren aufgegeben, seitdem pendelte ich zwischen seiner Wohnung und meinem alten Zimmer bei meinen Eltern.
Wir hatten uns auf einem Festival kennengelernt, auf dem wir beide mit Freunden waren. Als er sich mir vorstellte, fiel mir sofort ein Interview mit seiner Band ein, in dem erwähnt worden war, er lebe mit seiner Freundin zusammen. Daher blieb es bei einer kurzen Begegnung. Bis wir uns ein knappes Jahr später zufällig in meiner damaligen Stammdisco über den Weg liefen.
Er war mittlerweile wieder Single, und auch ich war solo. Und ich fand ihn nett, wie er da so unbeholfen herumdruckste. Wir blieben in Kontakt und wurden wenige Monate später ein Paar. Ein gemeinsamer Bekannter versuchte mich vor ihm zu warnen: „Der ist eigentlich ein Netter, aber pass auf, wenn er was getrunken hat!“ Mehr wollte er dazu jedoch nicht sagen, und damals kannte ich seine andere Seite ja auch noch nicht, denn auf Wolke 7 war alles schön flauschig und romantisch. Grauen Alltag erlebten wir nicht, wie auch? Wir sahen uns viel zu selten, als dass da irgendeine Langeweile hätte entstehen können.
Ich war mit meiner Arbeit beschäftigt, während er sein Geld an der Börse verzockte
Irgendwann wurde es jedoch ruhiger um die Band, seine Mitstreiter widmeten sich anderen Projekten, nur er saß zu Hause und hatte nichts zu tun, denn er war der Illusion erlegen, von der Musik leben zu können. Ich war mit meiner Arbeit beschäftigt, während er sein Geld an der Börse verzockte und immer unzufriedener wurde. Auch ich war mit der Situation gefrustet, nichts Eigenes zu haben und entweder in seiner Wohnung oder in meinem alten Kinderzimmer zu hocken.
Aufgrund seiner sich ständig verschlechternden finanziellen Situation gingen wir bald gar nicht mehr aus, und er begann aus Frust und Langeweile zu Hause immer mehr und immer öfter heimlich zu trinken, während ich an seinem unbequemen Küchentisch saß und arbeitete. Bald stritten wir uns fast täglich. Die Heirat war ein verzweifelter Versuch, unsere Beziehung zu retten. Wenige Tage später ging er für sieben Wochen auf Tournee.
Zurück in Deutschland schaffte ich es nicht, meiner Familie und meinen Freunden von unserer Heirat zu erzählen. Es kam mir selbst so unwirklich vor. Tatsächlich suchte ich im Internet nach Möglichkeiten, die Ehe annullieren zu lassen, was in unserem Fall allerdings nicht möglich war.
Mittlerweile beschimpfte und schubste er mich sogar vor meinen Freunden
In diesen Wochen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und mir wurde klar, dass ich keine Kraft mehr für dieses ganze Hin und Her hatte. Ich brauchte meinen eigenen Rückzugsort. Also suchte ich mir kurzerhand eine Wohnung und teilte ihm meinen Entschluss, in Deutschland zu bleiben, am Telefon mit. Er rastete aus, aber das war mir egal. Er war ja weit weg und noch einige Zeit unterwegs. Ich musste an mich und meine eigene Zukunft denken, und ich hatte keine Lust mehr, nur „die Freundin von“ zu sein. Ich hatte mir mit meiner Arbeit mittlerweile selbst einen Namen gemacht. Ein paar Wochen lang ging es mir gut und ich schaffte es sogar, optimistisch nach vorne zu schauen. Das würde schon alles wieder werden.
#Beziehungsgewalt: So hat Sanna es geschafft, sich zu trennen
Dann kam er zurück. Die Tournee war finanziell gesehen ein absolutes Desaster gewesen, und sein Frust stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Die nachfolgende Zeit war geprägt von alkoholbedingten Eifersüchteleien und Ausrastern. Mittlerweile beschimpfte und schubste er mich sogar vor meinen Freunden, die mir daraufhin gehörig ins Gewissen redeten, ich sollte mich doch endlich von ihm trennen.
Mit jedem Drink steigerte sich seine Wut
In jenem Sommer besuchten wir gemeinsam mehrere Festivals, auf denen er mit seiner Band auftrat, und auf keinem einzigen davon blieb er nüchtern. Mittsommer erlebten wir auf einem Festival im Norden von Finnland. Es war bereits nach Mitternacht und noch immer taghell. Ich hatte einige Bekannte aus Deutschland getroffen und wir standen zusammen und redeten, während er mit finsterer Miene daneben stand. Mit jedem Drink steigerte sich seine Wut.
Als wir schließlich in den Shuttle-Bus zurück ins Hotel stiegen und auf seine Bandkollegen warteten, fing er an, mich aufs Übelste zu beschimpfen, weil ich es gewagt hatte, mich zu amüsieren, anstatt stumm und dekorativ neben ihm zu stehen. Dieses Mal war ich mutig genug, ihm zu widersprechen und zu sagen, was ich von seinem Verhalten hielt.
Ich hielt mir den Kopf und weinte lautlos vor mich hin. Danach flog ich erst mal alleine zurück nach Deutschland. Es folgten weitere Festivals mit weiteren Alkoholexzessen. Je mehr er trank, desto abstinenter und stiller wurde ich. Mit jeder von ihm geleerten Flasche wuchs meine Angst. Mein Magen rebellierte. Mir war klar, dass diese Beziehung nirgendwo mehr hin führte, auch wenn auf jede Beschimpfung und jeden Ausraster von ihm eine tränenreiche Reueszene und das Versprechen folgte, mit der Sauferei aufzuhören. Und ich wünschte mir so sehr, ich könnte ihm Glauben schenken.
Der alte Mann sah meinen nachdenklichen Blick und stellte fest: „Dein Mann macht dich nicht glücklich.“
Im September machten wir eine zweitägige Schiffsreise nach Riga. Die Stimmung war verhältnismäßig gut. Auf der Fähre lernten wir einen alten finnischen Seefahrer kennen, der mehrere Sprachen, darunter auch Deutsch, sprach. Er fragte nach unseren Zukunftsplänen und ob wir Kinder haben wollten. J. druckste herum und meinte, er wolle sein Leben genießen und tun und lassen können, wonach ihm gerade der Sinn stand. Damit beendete er das Gespräch und ging an die Bar.
Der alte Mann sah meinen nachdenklichen Blick und stellte fest: „Dein Mann macht dich nicht glücklich.“ Mir liefen die Tränen herunter. Er hatte so Recht. Ich wollte nur noch in die Kabine und alleine sein. Es war zwar noch früher Abend, aber die Fähre war voll mit überwiegend betrunkenen osteuropäischen Kraftfahrern, die mich anlallten und sich mir in den Weg stellten. Es war widerlich. Zurück in der Kabine wälzte ich mich unruhig in meiner Koje herum. An Schlaf war nicht zu denken. Es war nun schon nach Mitternacht, und J. saß wohl immer noch an der Bar. Ich beschloss, ihn suchen zu gehen.
Er saß an einem Tisch im Casino und verzockte mit stierem Blick sein letztes Geld. Ich berührte ihn am Arm und fragte, ob er nicht auch schlafen gehen wollte, doch er schüttelte meine Hand unwirsch ab. Als der Groupier ihn darauf hinwies, dass das Casino in fünf Minuten schließen würde, rutschte er endlich von seinem Stuhl und schwankte unwillig hinter mir her. Zum Glück schloss nun auch die Bar und es blieb ihm nichts weiter übrig, als mir unsere Kabine zu folgen.
„Hör auf!“, schrie ich, doch er war nicht mehr zu bremsen
Als wir an der Kabine des alten Seemanns vorbei kamen, schnaubte er verächtlich: „Dämlicher Idiot!“ „Ich finde seine Einstellung gut“, meinte ich. In der Kabine baute er sich plötzlich vor mir auf und lallte: „Ich mache, was ich will, kapiert? Niemand hat mir was zu sagen!“ „Ja doch“, erwiderte ich und wollte an ihm vorbei. Da packte er mich an den Haaren und fragte drohend: „Wie war das?“ „Lass mich los, du tust mir weh!“, rief ich und versuchte, seine Hand wegzudrücken ― und da ging es erst richtig los. „Du blöde F…, dir werde ich‘s zeigen“, schnaubte er und schlug meinen Kopf gegen die Innenwand. „Hör auf!“, schrie ich, doch er war nicht mehr zu bremsen.
Er schlug mich in der engen Kabine buchstäblich im Viereck herum, bis ich nicht mehr wusste, wo vorne und hinten, oben oder unten war. Ich schrie um Hilfe. Irgendjemand hämmerte gegen die Wand, aber ansonsten passierte nichts. „Ich werde hier drin sterben!“, schoss es mir durch den Kopf, als ich zwischen zwei Schlägen einen Blick auf sein Gesicht erhaschen konnte.
Seine Augen waren total schwarz, er wirkte wie in Trance, wie er da so auf mich einprügelte und mich würgte. Ich hatte Todesangst, bekam aber keinen Ton mehr heraus. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien er mein Wimmern zu bemerken und ließ mit einem Grunzen von mir ab. Ich rang nach Luft. Er drehte sich um, legte sich in seine Koje und schlief einfach ein.
Leise schleppte ich mich ins Bad, schloss die Tür ab und ließ meinen Tränen freien Lauf
Ich lag auf dem Boden und versuchte zu realisieren, was da gerade passiert war. Mir tat alles weh. Mein Kopf dröhnte. Leise schleppte ich mich ins Bad, schloss die Tür ab und ließ meinen Tränen freien Lauf. Etwas in mir war zerbrochen. Das Schlucken fiel mir schwer. Was mache ich denn jetzt nur?, überlegte ich. Es war vier Uhr morgens und alles war geschlossen. Um sieben Uhr würden wir anlegen. Also blieb ich eingeschlossen im Bad. Ich hatte Angst, er könnte bald wieder aufwachen und weiter wüten.
Nach einer Weile packte ich leise meine Tasche. Er schlief tief und fest. Um sechs Uhr schlich ich mich aus der Kabine. Ich wollte nur noch runter von dieser Fähre. Als ich endlich die Passkontrolle passierte, bemerkte ich, dass sein Pass noch in der Seitentasche steckte. Soll er doch sehen, wie er das den Beamten hier erklärt, dachte ich. Hoffentlich halten die ihn zurück!
Meine Knie waren aufgeschürft, ich war übersät mit blauen Flecken, mein Kopf hatte mehrere Beulen und meinen Hals zierten Würgemale
Da stand ich nun an diesem fremden Hafen in dieser fremden Stadt und musste allein den Weg zurück zu seiner Wohnung finden. Dort angekommen, stellte ich mich erst mal unter die heiße Dusche. Die Wärme tat meinem schmerzenden Körper gut. Nach dem Abtrocknen wagte ich einen Blick in den Spiegel: meine Knie waren aufgeschürft, ich war übersät mit blauen Flecken, mein Kopf hatte mehrere Beulen und meinen Hals zierten Würgemale.
Ich überlegte kurz, ob ich Beweisfotos machen sollte, allerdings hatte ich damals noch kein Smartphone, sondern nur meinen alten Fotoapparat. Zur Polizei gehen? Nein, das traute ich mich nicht. Meine Eltern anrufen? Sie waren weit weg und konnten ja doch nichts tun. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Er kam am späten Nachmittag nach Hause. Er sah mir nicht in die Augen. Es gab auch keine Entschuldigung, nichts.
Ich konnte mit niemandem darüber reden. Mir war hundeelend
Wenige Tage später flog ich zurück nach Deutschland und verkroch mich in meiner Wohnung. Ich konnte mit niemandem darüber reden. Mir war hundeelend. Und meine Periode kam auch nicht. Das war ungewöhnlich, schließlich nahm ich seit über zehn Jahren regelmäßig die Pille. Mein Magen rebellierte seit Wochen, an Essen war kaum noch zu denken. Aber DAS konnte doch nicht sein, oder??? Natürlich konnte es das. Ich war schwanger. Herzlichen Glückwunsch.
Meine Frauenärztin strahlte mich an: „Ich sehe zwei Herzschläge. Sie bekommen Zwillinge!“ Als ich bitterlich zu weinen anfing, tätschelte sie meinen Arm und sagte: „Sie sind erst in der siebten Woche. Sie haben noch drei Wochen Zeit, es sich zu überlegen.“
Als ich ihn anrief und ihm mitteilte, dass ich schwanger bin, meinte er nach kurzer Überlegung: „Also ich bin nicht bereit für ein Kind. Das ist deine Entscheidung.“ Meine Gedanken überschlugen sich. Allein mit Zwillingen? Wie sollte ich das schaffen?
Die Schwangerschaftsberaterin gab mir neue Zuversicht. Dafür bin ich ihr bis heute dankbar
Die äußerst nette und verständnisvolle Frau bei der Schwangerenkonfliktberatung schaffte es jedoch, meine Bedenken zu zerstreuen und gab mir neue Zuversicht. Dafür bin ich ihr bis heute sehr dankbar! Ich würde es auch alleine schaffen. Und schließlich war ich längst keine 20 mehr. Beim nächsten Termin beim Frauenarzt war nur noch ein Herzschlag zu sehen …
Und heute? Habe ich eine wundervolle Tochter und bin geschieden. Der Kontakt zu ihrem Vater gestaltet sich sporadisch und oberflächlich. Auch sie hat ihn schon im Vollrausch erlebt und seitdem Angst vor seinem betrunkenen Alter Ego. Auf ihre Fragen zu unserer Trennung habe ich ihr erklärt, wir hätten uns oft gestritten, weil er so viel getrunken habe. Irgendwann werde ich ihr die ganze Wahrheit erzählen. Ich habe lange genug geschwiegen.
Hier findest Du Hilfe

Hilfe bei häuslicher Gewalt findest Du bei vielen Stellen in ganz Deutschland. Eine wichtige Nummer, die 24 Stunden, 7 Tage die Woche erreichbar ist: Das Hilfetelefon unter der kostenfreien und anonymen Nummer 08000 116 016.
Es war sehr beklemmend zu lesen und ich hoffe, für Dich bleiben keine Narben zurück. Alles erdenklich Gute Euch!
Grüße von Herzen,
dörte
Das ist schon wieder mal so eine typische Opferpersönlichkeit. Kein Mann würde im umgekehrten Fall so etwas dulden. Ich finde, die Anonyma hätte sich viel früher trennen müssen.
Leider fällt es Frauen in der Tat schwerer, sich aus Gewaltbeziehungen zu lösen, denn sie sind oder fühlen sich oft finanziell oder gesellschaftlich abhängig vom Täter.