Goldmarie, Pechmarie und Frau Holle kamen mir vor einigen Jahren in den Sinn, als ich am Schreibtisch saß und für meine IHK-Prüfung als Kauffrau für Bürokommunikation lernte. Mein Lernstoff waren an jenem Abend VWL-Grundlagen. Wir hatten Wirtschaftssektoren durchgenommen. Mir war aufgefallen, dass sogenannte häusliche Arbeiten in unseren Materialien nicht abgebildet waren und ich begann zu recherchieren. In der klassischen Volkswirtschaftslehre kamen häusliche Tätigkeiten, die immer noch überwiegend von Frauen erledigt werden, kaum vor.
Es wird unterschieden zwischen dem Primärsektor, in dem es um die sogenannte Ur-Produktion ging, darin wird mit dem gewirtschaftet, was die Natur hergibt: Fischerei, Jagd und Ernte. Dann folgt in dieser Theorie der sekundärer Sektor, der weitestgehend das verarbeitende Gewerbe und die Industrie umfasst, der tertiäre meint den Dienstleistungssektor. Soweit die Theorie.
Ich vermutete, dass es auch einen Sektor für unbezahlte Arbeit geben müsse und machte deshalb dafür den quartiären Sektor auf. Dieser sollte für die Sachen, die ich neben dem Job bzw. der Ausbildung so machte: Wäsche waschen, Windeln kaufen, Möhrchen kochen, Brote schmieren, auf dem Spielplatz sitzen bzw. anschaukeln oder auch mitwippen, Kinder zum Geburtstag bringen und abholen und Eventmanagement für die Parties der eigenen Kinder. Nachtschwester sein, Kotzeimer säubern, kranke Kinder in den Schlaf wiegen, trösten …
Eltern leisten so viel – aber bezahlt wird ihre Arbeit nicht. Wieso ist das eigentlich so?
Durch Wikipedia fand ich heraus, dass der quartiäre Sektor schon belegt ist – von intellektuell anspruchsvollen Tätigkeiten, wie Ingenieurwesen oder Informationstechnik. Auch der Quintärsektor wurde bereits von der Recyclingwirtschaft belegt ohne dass der millionenfache Abwasch, der in Deutschland täglich verrichtet wird, überhaupt erwähnt worden war. Wie konnte das denn sein? Wie konnte es sein, dass ich von früh bis spät abends beschäftigt war u.a. mit Wäsche aufhängen, putzen, kochen, Gute-Nacht-Geschichte vorlesen – und trotzdem nicht mal eine kleine Summe monatlich zur Seite legen konnte? Anderen erging es genauso: Sie waren trotz Arbeit dauernd klamm. Der Grund lag nach Analyse der Wirtschaftssektoren auf der Hand: Die Arbeit wurde zwar getan, aber nicht erfasst und vor allem nicht bezahlt – und keinen/keine schien das zu stören!
Als ich noch keine Kinder hatte, habe ich mir nie Gedanken über mein Ein- oder Auskommen machen müssen. Freizeit und Freiheiten hatte ich ausreichend. Jetzt hatte ich Kinder, die Arbeit wurde mehr, doch statt mehr Geld oder auch mehr Anerkennung trat das Gegenteil ein. Warum eigentlich? Ich dachte seufzend an die Goldmarie, die alles gut und zuverlässig erledigt hatte und dafür mit Gold überschüttet wurde. Und an die Pechmarie, die faul in der Ecke saß, aber am Ende ihre gerechte Strafe bekam.
Bei mir war das irgendwie alles aus den Fugen geraten: Ich mühte mich im Alleinerziehenden-Alltag ab, doch statt Gold hatte ich trotzdem nur Pech: Nie genug Geld, immer klamm, nur selten die Möglichkeit mit den Kindern in den Zoo zu gehen oder auch nur mal ’ne Pizza essen. Schweißausbrüche, wenn es darum ging Geschenke für einen Kindergeburtstag zu besorgen. Kleidung gab’s früher nur Second-Hand, Ausrangiertes wurde auf dem Flohmarkt weiterverkauft und der Ertrag für den nächsten Einkauf verwendet. Wieso funktioniert die Logik von Frau Holle nicht mehr, fragte ich mich. Irgendjemand hatte das Märchen kaputt gemacht!
Lest morgen Teil 2: Wer bewertet eigentlich unsere Leistung?
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Fee Linke ist Mama von zwei Kindern und seit 2005 vom Vater getrennt. Vor der Familienphase hat sie als Journalistin in Köln gearbeitet.
Nachdem sie alleinerziehend wurde und in ihrem Job auf Grund eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten nicht mehr genug verdienen konnte, machte sie eine Umschulung zur Kauffrau für Bürokommunikation und arbeitet mittlerweile im öffentlichen Dienst. Während der Umschulung erhielt sie Grundsicherung für sich und ihre Kinder.
Fee Linke schreibt bei MAMA BERLIN über Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten und fordert ein Umdenken in der Arbeits- und Wirtschaftswelt.
Fotos: Verena Schulemann, Fee Linke
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