Meine Mutter ist in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. Anlass für mich, Ihrem Leben besondere Betrachtung zu schenken. Im Mittelpunkt meiner Mutter stand und steht: Die Familie. Meine Mutter ist noch so, wie die meisten westdeutschen Frauen ihrer Generation. Sie hat eine Ausbildung, arbeitete – aber quittierte ihr Berufsleben mit der Hochzeit und ist seitdem Mutter, Großmutter und vor allem Ehefrau – seit 45 Jahren an der Seite meines Vaters.
Für mich ist die Ehe meiner Eltern bis heute ein Mysterium. Und vielleicht auch der Grund, warum ich selbst nie geheiratet habe, heiraten wollte. Ich bin mir da aber noch nicht ganz sicher … Aber so ganz verstanden habe ich diese Sache bis heute nicht, das gebe ich zu.

Meine Großeltern waren auch verheiratet. Mein Opa nach dem Tod seiner ersten Frau allerdings in zweiter Ehe mit meiner Oma, er war deutliche älter als sie und starb relativ früh, als meine Mutter erst 16 Jahre alt war. Auch der Vater meines Vaters erlag nach russischer Gefangenschaft bereits mit Ende 40 einem Magentumor und ließ meine Großmutter, seine beiden erwachsenen Söhne und eine heranwachsende Tochter so gut wie mittellos zurück.
Aber meine Großmütter waren patente Frauen, hatte die Weltkriege überlebt und konnten sich auch allein über Wasser halten – geheiratet haben sie nie wieder, das gehörte sich für Frauen damals nicht. Mein Großväter wurden als „Große Lieben“ von beiden Frauen bis zu deren eigenem zeitlichen Ableben in Ehren gehalten. Ob die das wirklich waren? Beeindruckt hat mich diese Loyalität aber doch. Oder war es in Wirklichkeit doch das Wissen um mehr Freiheit, wenn sie sich nicht wieder banden?

Nichtsdestotrotz – diese beiden Generationen vor mir, meine Großmutter- und Mutter-Generation stellten sich mir immer schon so unterschiedlich dar. Geprägt hat mich die ältere gefühlt ein wenig mehr – irgendwie waren diese Frauen tougher, selbständiger, auch ein bisschen cooler.
Bis heute habe ich das Gefühl, dass mit der Frauengeneration meiner Mutter irgendwas nicht richtig stimmt. Da gab es einerseits diese oberflächlichen Zahnarztgattinnen, dann wieder diese suchenden Emanzen, die Gleichberechtigung oft mit Geschlechterkampf durchlebten und dann diese eifrigen Hausfrauen und Glucken-Muttis, die „Männe“ wie ein Kind behandelten und in erster Linie in Funktion als Finanzbringer sahen, aber selten einfach so als Mensch liebten und immer auf mich so verkrampft, angestrengt und spießig wirkten.
Wie haben die beiden es geschafft, sich über 45 Jahre zusammenzuraufen?
Aber nun geht es ja um meine Mutter – und damit auch, denn die beiden sind inzwischen untrennbar geworden – um meinen Vater. Es war an der Zeit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Mich interessierte vor allem ihre Ehe: „Mama, Papa, wie konntet Ihr soooo lange zusammenbleiben? Was motiviert Euch?“ Das wollte ich wissen.
Wie haben die beiden es geschafft, sich immer wieder zusammenzuraufen? Sie haben sie mir Rede und Antwort gestanden und dabei kamen einige Dinge heraus, die ich so niemals gedacht hätte …
1. Mama, Papa – was sind die wichtigsten Skills für eine lange Ehe?
Meine Mutter: „1. Wenn etwas nicht gut läuft, sich immer wieder zusammensetzen und darüber sprechen. 2. Den anderen akzeptieren und tolerieren, auch wenn es manchmal schwer fällt, sondern ihn so belassen wie er ist. 3. Sich Freiräume schaffen, eigene Verantwortungsbereiche, in denen man unabhängig vom Partner sein eigenes Leben führt.“
Mein Vater: „Als ich deine Mutter das zweite Mal getroffen habe, sie war 22 Jahre, ich 27 Jahre alt, da traf es mich wie ein Blitz – ich wusste: Die heiratest du! Es war eine intuitive, magische Bindung, die ich bis heute nicht erklären könnte. Ich hatte vor Deiner Mutter schon Freundinnen gehabt, aber da noch nicht mal die Idee gehabt, ich könnte mich mit ihnen verloben. Aber bei Deiner Mutter wusste ich es von Anfang an.“
2. Habt Ihr Euch viel oder wenig gestritten?
Mein Vater: „Wir haben zu Beginn unserer Beziehung immer wieder Krach bekommen. Ich würde mal sagen: Es war keine, langweilige Beziehung … Das erste gemeinsame Weihnachten war dramatisch, da haben wir uns bei ihrer Mutter, wo wir gemeinsam feierten, so verkracht, dass ich nach Hause gegangen bin.“
Meine Mutter: „Ich hatte das Gefühl, das ich bedrängt werde. Ich hatte mich schon zur Verlobung drängen lassen, eigentlich wollte ich das erstmal gar nicht … Am Heilig Abend bin ich dann ins Schlafzimmer meiner Mutter und habe mich dort ins Bett gelegt und Papa hat sich in mein Zimmer gelegt und ist dann wohl in der Nacht aufgestanden und gegangen. Ich weiß noch, wie meine Mutter zu mir sagte: ,Das kannst Du doch jetzt nicht so mit ihm machen!’ Und ich meinte: , Mama, mir ist das alles zu viel!’ Und dann rief Dein Vater am nächsten Tag an und wir haben uns wieder vertragen.“
3. Was war der Anlass für die Streitigkeiten?
Meine Mutter: „Ich habe einen großen Freiraum gebraucht, war noch gar nicht genug entwickelt … Andererseits war da auch eine große Anhänglichkeit – so als hätten wir uns schon im einem vorherigen Leben gekannt, da war eine ganz starke, innere Bindung.“
4. Ist zusammenwohnen wichtig für eine Partnerschaft?
Mein Vater: „Ich wollte ziemlich gleich zusammenziehen, ich wohnte damals noch bei meiner Mutter, das war damals so, doch sie wollte ausziehen und ich musste damit auch raus. Erst wollte ich noch mit einem Freund eine WG gründen, aber dann lieber mit Mami in eine Wohnung ziehen, aber sie hat gesagt: ,Das ist mir viel zu früh!’ Aber sie half mir dann, eine sehr hübsche Ein-Zimmer-Wohnung zu finden. Es war ein Neubau, eingerichtet mit den Möbeln der Vermieterin und dem Schreibtisch meines Vaters, an dem ich anfangs noch von zu Hause arbeitete. Deine Mutter hat mich dann besucht, ich habe für uns den Abendtisch gedeckt und sie fand das dann sehr schön …“
Meine Mutter: „Ja, naja. Später zogen wir dann in eine sehr hübsche größere gemeinsame Wohnung, die ich einrichtete. Einrichtung ist bis heute meine Aufgabe geblieben.“
Mein Vater: „Wir nahmen uns dann eine sehr schöne Wohnung, Mama kaufte sich einen Mini und ich fand das sehr gut. Wir mochten beide einen gehobenen Lebensstil.“
5. Was schätzt Ihr gegenseitig so sehr an Euch, dass Ihr bis heute verheiratet geblieben seid?
Meine Mutter: „Dass wir uns gegenseitig helfen und unterstützen: Papi hat sich um die Finanzen gekümmert und ich habe mehr das Management der Ehe übernommen. Und denn die Kreativität und die gemeinsame Entwicklung.“
Mein Vater: „Wir hatten in den wichtigen Grundfragen klare gemeinsame Vorstellungen. Wir wollten z.B. beiden den beruflichen Erfolg, da war auch klar, dass das Privatleben nicht zu viel Raum einnehmen würde. Mama wollte schon damals am liebsten zwei Kinder und wollte am liebsten nur für die Familie da sein – und mir war das Recht.“
6. Was habt Ihr von dem anderen gelernt?
Mein Vater: „Bevor ich Deine Mutter kennenlernte, war ich nicht so ehrgeizig. Ich fing erst durch Mama damit an.“
Meine Mutter: „Spüren, dass man zusammengehört. Meiner Mutter war es wichtig, eine Ehe zu führen, die ein Leben lang hält und ich wollte eine Familie führen, die auch lebenslang Bestand hat. Selbst wenn ich gesagt habe: „Das hat alles keinen Sinn!“, war es doch das Zusammenhaltsgefühl, das mich zur Umkehr brachte. Vielleicht im Rückblick auf unsere eigene Eltern: Meine Mutter hatte 15 Jahre auf meinen Vater gewartet. Die Eltern von Papa waren durch Krieg und Gefangenschaft auch Jahre getrennt gewesen und haben dennoch danach weiter gemacht, als Paar zusammengehalten.“
7. Was waren die größten Herausforderungen?
Meine Mutter: „Ich weiß noch, wie ich mit Deinem Vater einen Spaziergang machten. Wir kamen dabei am Haus seines Chefs vorbei und Dein Vater fragte mich, ob ich denke, dass er, wir auch mal in so einem Haus wohnen werden? Er sagte, dass ich ihn unterstützen, ihm helfen müsste. Er meinte damit, dass ich das Private aufbaue und er sich auf seinen Beruf konzentrieren kann. Ich habe das auch gemacht und habe dann im Laufe der Jahre gelernt, meine Erfolgsmomente zu verarbeiten. Doch ich war auch traurig, dass die Zweisamkeit und die Familie so oft wegen der Arbeit auf der Strecke blieben. Wir hatten jeder unseren Aufgabenbereich in der Ehe gehabt, wir haben damit immer dieses Zusammenhaltsgefühl gespürt.“
Mein Vater: „Man muss eins sagen, und das ein Kompliment an unsere Ehe – der Beruf, der Stress, mein Zustand damals – das war nicht angenehm für die Familie. Ich war oft erschöpft oder ich hatte Wutanfälle – das war sehr schwer mit mir, aber Mama hat immer zu mir gehalten, sie hat auch versucht auszugleichen, aber wir hatten keine total harmonische ehe, wir hatten öfters Krisen, wir haben gekämpft, ich wollte mich nie trennen, aber mama hat mir manchmal dreimal die Woche die Scheidung gedroht, das aber nie so ernst gemeint …“
So. Ich habe viel gelernt über meine Familie und sehe klarer. Irgendwie sind die beiden auch ganz süß so miteinander. Auch im Bezug auf mich selbst, verstehe ich nun einiges besser. Es ist immer ausschlaggebend, wie die Eltern so sind, es prägt das eigenen Leben viel mehr als wir uns das vor Augen führen.
Daher macht das selbst mal, fragt Eure Eltern, sie werden dankbar sein und Ihr werdet mehr über Euch erfahren …
Fotos: MAMA BERLIN