Gestern in der Straßenbahn: Mein Sohn sagt plötzlich „Negerkuss“ und wird schief von einem Typen angeschaut: Erst er, dann ich, die ihm hektisch erklärt, dass es Schokokuss heißt (zu unser Verteidigung muss ich sagen, dass mein Sohn keine Ahnung hat, was Neger überhaupt bedeutet, geschweige denn, dass das Wort als Schimpfwort verstanden werden kann).
Dann, keine zwei Minuten später, der gleiche Typ, der eben so streng geguckt hat, erzählt feixend einen „Blondinen“-Witz (by the was: Ich bin blond), also einen Witz, der weibliche Klischees bedient und sich über vermeintliche Dummheit von Frauen lustig macht oder nennen wir es beim Wort: Frauen verbal diskriminiert.
Warum lieben Blondinen Schiebedächer? Mehr Beinfreiheit … Ja, ich weiß, es ist ein WITZ! Doch wieso reagiert der Typ beim Thema Rassismus empört, während er Sexismus okay findet?
JA, Sexismus ist schlimm. Er wertet nicht nur die betreffende Person herab, er grenzt aus, er demotiviert, er beleidigt, er wirkt überheblich, er nervt, er provoziert Gegenreaktion und Aggressionen – und wenn ein Chef gegenüber seinen Mitarbeitern sexistisch auftritt, missbraucht er sein Machtverhältnis mit nicht selten gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Betroffenen, wenn sein Verhalten chronisch ist.
Empört sind wir, wenn wir hören: Das ist nichts für Juden! Aber nicht, wenn jemand sagt: Das ist nichts für Frauen!
Manchmal scheint es, als leben wir in einer ziemlich verblödeten, stupiden Gesellschaft voller Rohlinge, die sich ihrer eigenen Vorurteile – trotz DAUER-NAZI-REICH-GESCHICHTS-LEHRPLAN – in keiner Weise bewusst sind. Empört sind wir, wenn wir hören: Das ist nichts für Juden! Aber nicht, wenn jemand sagt: Das ist nichts für Frauen!
„Ist doch klar, dass die das nicht kann, ist doch ’ne Frau! Lass mal Mutti ran, Männer können so was nicht!“ Bitte hier Frau und Männer durch „Schwarze“ oder „Juden“ ersetzen – falls euch nichts aufstößt. Denn dann wird sofort klar, dass das gar nicht geht!
Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Immer wenn pauschal Menschen auf Grund von (eigentlich irrelevanten äußerlichen Merkmalen) zu einer Gruppe zusammenfasst werden und denen noch im Gesamten ein Merkmal zugeordnet wird, ist es ein -ISMUS-Ding.
- Sexistisch ist, wenn ich sage: Polen klauen, Türken sind aggressiv, Araber gewalttätig gegenüber Frauen, Frauen oberflächlich und geldgeil und Männer hätten keine Ahnung von Kindererziehung.
- Aber auch abgeschwächte Sätze wie: „Frauenkörper sind ja meistens schon schöner als Männerkörper, aber dafür sind Frauen auch nicht so … “ Oder: „Männer sind einfach alle verlogen“.
- Oder auch: „Frauen können keine wirklichen Führungspositionen halten, erst recht nicht, wenn sie Kinder haben – oder sie sind einfach schlechte Mütter, beides geht nicht.“ Aber auch: „Männer wollen doch gar keine Väterverantwortung übernehmen. Die haben ihre Karriere im Kopf und sie müssen auch immer dominieren, damit sie sich als Herr im Haus fühlen. Sonst kriegen sie wahrscheinlich keinen hoch …“
Schon mal selbst so geredet? Schon mal gehört, wie die Eltern oder Verwandte das gesagt haben und man dachte: ,Ach, Mensch, stimmt ja irgendwie …‘ Tja, das ist das Verhängnisvolle. So wie es in Nazi-Deutschland normal war zu sagen: „Die Juden gehören nicht zum Deutschen Volk“ (komisch, aber die Jahrhunderte davor schon …), fehlt vielen heute die Sensibilität für sexistische Boshaftigkeit.
Für Rassismus sind wir sensibilisiert – bei Sexismus oft taub
Das ist fatal – denn Ausgrenzung, Frauenfeindlichkeit und Männerfeindlichkeit, beginnt im Kopf und ist immer konstruiert. Die Menschen sind alle ziemlich gleich, die genetischen und die kulturellen Unterschiede, das haben Studien erwiesen, sind marginal. Was man immer wieder in Notsituationen sieht: Wenn die Gruppen zusammenarbeiten, wird die Wahrscheinlichkeit für alle zu überleben, am größten. Und noch eins: Wenn wir unseren Fokus auf Erfahrungen und innere Zustände richten, spielen Äußerlichkeiten sofort keine Rolle mehr:
Warum denken wir sexistisch? Rassistisch? Dahinter stehen Ängste und ein einfaches psychologisches Prinzip, das immer dann zur Anwendung kommt, wenn ein Charakter merkt, dass er den Anforderungen der Gesellschaft oder seiner Umwelt nicht mehr ganz gewachsen ist: ER macht sein Gegenüber klein, um sich selbst hervorzutun. Das funktioniert – trotz der offensichtlichen Unlogik – erstaunlich gut.
Und noch ein Grund, warum wir sexistisch denken: Es ist schwer dagegen anzugehen. Sexismus zur Sprache zu bringen, kann Nachteile für die Frau haben. Eine deprimierende US-Studie liefert dazu die Zahlen: Frauen, die auf Gleichberechtigung pochen, zum Beispiel am Arbeitsplatz, werden oft aktiv dafür bestraft. Die kritische Thematisierung von Sexismus gilt in der Regel als Grobheit und Gipfel der Humorlosigkeit. Sätze wie: „Mein Gesicht ist übrigens hier oben“ oder „Unterbrechen Sie mich nicht ständig, Herr Kollege“, werden, von Frauen geäußert, als Affront verstanden. Aber das ist nur einer von vielen Punkten des täglichen Sexismus.
Daher folgt hier meine Auflistung von alltäglichem Sexismus und Diskriminierung (die Liste beruht auf der Zusammenstellung von Soraya L. Chemaly). Ihr werdet merken, wie manifestiert unsere Vorurteile zum Teil sind. Ich möchte hier sensibilisieren. Frag Dich selbst: Wie stehe ich dazu? Vielleicht ist es eine Verbesserung, wenn wir merken dass unsere stereotypen Vorstellungen von Männlich- und Weiblichkeit eigentlich Ausdruck patriarchalischer Unterdrückung ist.
1. Religiöser Sexismus und Diskriminierung
Glaubst du wirklich, dass Frauen nicht dazu in der Lage sind, religiöse Verantwortung zu übernehmen? Päpstin, Priesterin, Dalai Lamain oder Imamin zu sein? Dass Gott/Allah/Buddah/Jahwe niemals eine Frau ist, es keine Prophetinnen gibt? Dieses ritualisierte Stillstellen von Frauen wird von beinahe allen großen Religionen praktiziert: Sie verbieten – mit wenigen Ausnahmen – Mädchen und Frauen, religiöse Führungspositionen zu übernehmen. Der Zugang zum Göttlichen wird also nur von männlicher Seite aus und durch ihre Stimme vermittelt.
Das ist legal völlig unangefochtene Diskriminierung und ihre Auswirkungen gehen weit über religiöse Praktiken und Orte hinaus. In dem Moment, in dem ein Mädchen heraus bekommt, dass sie zur Teilnahme an kirchlichen Riten nicht eingeladen ist, weil sie ein Mädchen ist, erfährt sie, dass ihre Stimme machtlos ist und nicht respektiert wird. Und das Gleiche erfahren die Jungen um sie herum. Aber hey, wenigstens bezahlen wir dafür, dass öffentliches Gut unterminiert wird, indem wir Steuern und Subventionen an die Kirche zahlen. Findest Du das richtig?
2. Doppelmoral
Wir leben mit einer ständig präsenten, hierarchisierenden Doppelmoral, die rein auf dem Geschlecht beruht. Sie schränkt die Freiheit von Frauen ein und hält uns davon ab, ein sicheres, erfülltes und selbstständiges Leben zu führen. 50 von diesen Ungerechtigkeiten hat Jessica Valentis in ihrem Buch He’s a Stud, She’s a Slut (dt. „Er ist ein Hengst, sie eine Hure“) nachgespürt. Sie spielen in alle Lebensbereiche hinein: Das reicht von der Forderung, dass Frauen mehr Selbstkontrolle und Höflichkeit beweisen müssen über den völlig anderen Umgang mit Alterserscheinungen bei Männern und Frauen bis hin zu verdrehten Ideen über „natürliche“ Fähigkeiten von Männern und Frauen.
3. Ritterlichkeit, auch bekannt als wohlmeinender Sexismus
Ein Mann, der uns die Tür aufhält und nichts dagegen hat, wenn wir dasselbe für ihn tun, ist eine Sache. Aber jemand, der das kategorisch ablehnt, ist ein richtiges Problem. Wohlmeinender Sexismus, der oft als „Beschützertum“ oder „Ritterlichkeit“ verkauft wird, ist nämlich eines der zentralen Merkmale dafür, dass unser Konstrukt von Männlichkeit und Weiblichkeit einer konservativen Kultur entspringt.
Studien haben bewiesen, dass besonders „ritterliche“ Leute besonders häufig sexistische Meinungen vertreten – dieses Phänomen wird definiert als „negative Konsequenz einer männlichen Haltung, die Frauen als rein, moralisch und anbetungswürdig idealisiert; als Objekte, die von Männern verehrt, beschützt und versorgt werden müssen.“ Viele dieser Manieren werden schon in der Kindheit erlernt, und zwar um Mädchen und Jungen dazu zu erziehen, wahre „Damen“ und „Kavaliere“ zu werden (anstatt sie einfach zu anständigen und liebenswürdigen Menschen heranwachsen zu lassen, die zusammenhalten).
4. Lohnunterschiede
Der Verdienstunterschied zwischen Mann und Frau wurde lange einfach geleugnet. Erst konkrete Studien und Umfragen legten den Skandal offen – 22 Prozent. Um es deutlich zu machen: Nicht der Gesamtlohnunterschied von Männer und Frauen ist gemeint – dann wäre die Zahl noch viel höher – sondern was verdienen bei gleicher Ausbildung, gleichem Abschluss, gleichen Noten, gleicher Berufserfahrung und gleichem Karrierestand ein a) Mann und b) eine Frau im selben Beruf. Ergebnis: Von 534 verglichenen Berufen verdienten Männer in 527 Jobs mehr als Frauen (US-Studie)!
Viele Frauen leugnen hier das Problem. Frauen wie die US-Amerikanerin Phyllis Schlafly hat kürzlich verkündet, dass ein Schließen der Verdienstlücke zu dem Ergebnis führen würde, dass Frauen keine Ehemänner mehr finden würden. Ideen wie diese wurzeln tief in dem systematisch propagierten Ideal eines Arbeiters, der männlich und Alleinverdiener zu sein hat. Dazu passen Aussagen wie „Geld ist für Männer wichtiger als für Frauen“. Klar, logisch. Frauen brauchen kein Geld, die leben von Luft und Liebe!
4. Der hohe Preis für Sicherheit
Jeden Tag zahlen Frauen den Preis dafür, sicher leben zu können. Das kostet Zeit und Geld und schränkt die Flexibilität in der Arbeitswahl ein. Manche Jobs können nämlich plötzlich ziemlich gefährlich für Frauen werden: Da brauchen Sie nur Reporter, LKW-Fahrer, Migrationshelfer oder Aktivisten zu fragen.
Fragen Sie sich Folgendes, liebe Männer: Fühlt ihr euch in ihrer Straße sicher? Überlegt ihr euch genau, wann und wo ihr einkaufen geht? Habt ihr ein ausgeklügeltes Parksystem entwickelt, wie beispielsweise nicht neben einem Van zu parken? Verwendet ihr einen Schlüssel oder ein Pfefferspray als Waffe oder ergreift andere ähnliche Maßnahmen? Gebt ihr Geld fürs Männer-Fitnessstudio aus, weil ihr nicht problemlos auch abends draußen nach der Arbeit Sport machen könnt? Fahrt ihr nach der Disco grundsätzlich im Taxi nach Hause und geht niemals zu Fuß durch die Nacht? Habt ihr Angst, vergewaltigt zu werden? Denkt ihr, dass viele Frauen denken, wenn ihr abends alleine nach Hause geht, ein offenes Hemd tragt oder eine kurze Hose, es sei völlig in Ordnung euch in den Schritt zu greifen und euch auch zu vergewaltigen, ihr seid doch selber schuld, wenn ihr so rumlauft?
5. Sexismus in familienfreundlichen Medien ist sogar unterhaltsam
Die meisten Leute, die ansonsten sehr bedacht sind auf das Wohlbefinden ihrer Kinder, gehen vollkommen leichtfertig mit den fragwürdigen Darstellungen der Unterhaltungsindustrie um. Wenn Sie einen Familien-Film sehen, in dem auf 20 Männer eine Frau kommt (normalerweise insgesamt nicht mehr als ein oder zwei) – sagen Sie dann etwas? Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass es bei diesem Ungleichgewicht 20 Mal mehr Jobs für Männer als für Frauen in der Filmbranche gibt? Und was dieses Missverhältnis vor und hinter dem Set bedeutet?
6. Frauen zahlen mehr für ihre Produkte
Ein T-Shirt für Frauen von der selben Marke ist teuer als das Pendant für Männer – seltsam, denn beim Mann wir mehr Material verbraucht. Der Haarschnitt für die Frau, das Deo für die Frau, der Rasierschaum für die Frau, die Hose für die Frau, die Unterwäsche für die Frau, sogar die Hautcreme und das Duschgel für die Frau ist bei gleicher Menge teuerer als das für den Mann. Wieso? Tja, gute Frage … Also, meine Damen: Hört auf, diesen Müll mitzumachen.
7. Unsere Sprache
Im Arbeitsausschuss sitzen fünf Frauen und zwei Männer – dennoch lesen wir: „Die Politiker kamen zu dem Entschluss …“ statt die „Politikerinnen“. Frauen reden über sich selbst: „Ich bin wirklich kein guter Beifahrer!“ Nein, Herzchen, Du bist eine Beifahrerin … Oder: „Meine Kollegen haben gestern …“ – obwohl es sich fast nur um Frauen handelte. Wir verwenden ständig und ohne es zu merken männliche Gattungen und machen uns selbst unsichtbar. Aber auch andere abwertende Sprachmodi sind gängig: Auch erwachsenen Frauen wird oft das Label Mädchen/Mädel angehaftet (Mädelsabend/Männerabend) – warum? Außerdem sind Anreden wie: Süße, Baby, Schätzchen – auch bei uns unbekannten Frauen – normal.
8. Vorurteilen gegenüber Männern
Ich habe Frauen gesehen, die ihren Männern das Baby vom Arm nehmen, sobald es ans Wickeln geht, weil „Männer so etwas nicht können“. Oder vielleicht haben Sie ja schon einmal Männer sagen hören, sie seien der „Babysitter“ ihrer Kinder, oder Sie haben Werbungen gesehen, in denen Männer als inkompetente Idioten und werden als Deppen-Dad oder Fauler-Sack-Ehemann dargestellt werden, sobald sie sich an die Hausarbeit machen, während die Ehefrau liebevoll lächelnd ihnen vormacht, wie der Haushalt geht.
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