Das Familienrecht gehört nach meiner Meinung reformiert. Auch hier zeigt sich, welche Folgen unsere Kategorisierung der Familienformen – gut: verheiratet Mann und Frau, schlecht: alle anderen Formen, haben.
Aus Trennungen machen wir daher in der Regel ein Drama, dabei ist es einfach eine Veränderung im Leben, die Milliarden Menschen jeden Tag erleben.
Wir verwenden unsere Energie darauf, ein naiv-romantisierendes Ideal aufrecht zu erhalten, anstatt die Selbstbestimmung und Gestaltung der Menschen ihren Raum zu lassen.
Wichtig für uns alle wäre auch zu verstehen, dass Trennungen zum Leben dazu gehören und wir uns meistens in einem Fluss von Beziehungen, alten und neuen, befinden, der eigentlich nie endet.
DAS ist die Realität. Warum wir in alten, traditionellen Grundsätzen verharren, lässt sich soziologisch als auch psychologisch erklären, aber es offenbart auch eine Angst.
Wie an Gerichten und Jugendämtern „gewütet“ wird, welche fatalen Folgen diese Einmischung aber auch das vollkommen veraltete System hat, für Eltern, aber auch für Kinder, wurde neulich anschaulich im Süddeutschen Magazin unter dem Titel „Ausgeliefert“ beschrieben.
Denn vor Gericht, aber auch vor dem Amt, wird Eltern ihre Erziehungsverantwortung entzogen, sie dürfen nicht mehr selbst bestimmen, wie sie Dinge regeln, sondern müssen es sich von den Institutionen vorschreiben lassen.
Der Familienrechtsreformer Hans-Christian Prestien, Richter und Rechtsanwalt a.D., versuchte seit den 1980er Jahren die Verantwortung der Eltern – egal ob verheiratet oder nicht (mehr) – zu stärken.
Seine Motivation speiste sich zum Teil aus den Erfahrungen seiner eigenen Scheidung und die Angst, seine Kinder zu verlieren. Ihm schien erst da so richtig deutlich zu werden, wie leichtfertig sein Berufsstand mit Schicksalen umging, wie fehlerhaft aber auch das System ist. Nicht überall machte er sich Freunde mit seiner Kritik, aber einiges wurde doch umgesetzt.
Ich greife hier daher noch einmal seine Ideen auf:
Prestiens Grundpfeiler sind, die Zusammenarbeit der getrennten Eltern zu stärken, mehr Kindermitsprache, grundsätzlich gemeinsame Sorge und den Rückzug von Gerichten und Ämtern und den Schwerpunkt bei den Eltern anzusetzen, er gilt als Verfechter des Cochemer Modells.
Die gemeinsame Sorge wird inzwischen wieder stark kritisiert, denn vor allem in Gewaltbeziehungen macht sie es inzwischen unmöglich, dass sich betroffene Eltern und Kinder von dem gewalttätigen Elternteil lösen können. Aber auch hier sind die Gerichte und Behörden noch sehr weit weg, diese Fälle überhaupt zu erkennen und richtig einordnen zu können.
Doch zurück zu Prestien: Was ist heute von seinen Ideen umgesetzt worden? Ist er zufrieden?
Ich habe ihn besucht. Er lebt mit seiner zweiten Frau in ländlicher Gegend, sehr schön und beschaulich, aber durchaus bescheiden in der Nähe von Berlin.
Er ist ein älterer Herr, aber dennoch merkt man im Gespräch mit ihm, wie sehr dem Familienrichter a.D. das Thema ans Herz geht. Und auch ein wenig schlechtes Gewissen schwingt mit, wenn er Dinge sagt, wie: „Ich habe mir immer die Familien angeschaut, ich habe mir immer selbst ein Bild gemacht, bevor ich entschieden habe.“ Oder auch: „Wir Richter sind heilfroh, wenn wir nicht entscheiden müssen. Wenn uns nicht der ,Schwarze Peter‘ zugeschoben wird.“
Anwälte sind Streitverstärker
Die Anwälte sieht Prestien oft in der Rolle der Streitverstärker. Die Ängste aller Beteiligten seien vor allem in Familienverfahren groß, es sei eigentlich eine Schande, dass daraus Profit geschlagen werde.
Das Prinzip sei verkehrt, denn am Ende ist oft ein Elternteil der „Sieger“, der anderer fühlt sich als „Verlierer“. Die Gefahr, das daraus ein niemals endender Streit entsteht, sei bei diesen tiefgreifenden Gefühlen dann enorm groß.
Die Zufriedenheitsquote der Eltern nach einem richterlichen Beschluss liege bei 25 Prozent. Der Rest fühlte sich nicht geholfen oder litt sogar unter den Beschlüssen, so Prestien. Das sei keine annehmbare Quote. Schon allein an diesem Ergebnis wäre die Notwenigkeit einer Reform festzumachen.
Auch wenn Eltern ja bewusst die Gerichten ansuchen, damit diese für sie entscheiden, seien sie sich oft nicht bewusst, welche Folgen das am Ende haben kann.
Und noch eins spricht er als ehemaliger Richter offen aus: „Das System sei absolut zufallsabhängig. Es ist nicht dafür gemacht, eine gerechte Lösung zu finden.“
Beunruhigend: Inobhutnahmen steigen jährlich an
Was Prestien beunruhigt, ist die steigende Zahl der Inobhutnahmen. Über 48 000 Kindern waren 2014 in Deutschland betroffen, werden aus den Familien geholt und in Heime gesteckt. Es sind unbegleitete Flüchtlingskinder, es sind Kinder verwahrloster oder drogenabhängiger Eltern, denen Unterstützung zu Teil wird, aber eben auch immer mehr Kinder aus Scheidungsfamilien.
Die Kinder kommen, wenn sich Mutter und Vater nicht einigen können, immer öfter in Heime. Jugenrichter haben die Befugnis, das anzuordnen. Jugendämter unterstützen aktiv den Trend, Gutachter schreiben hierzu die entsprechenden Einschätzungen. Eine Praxis, die äußerst umstritten ist. Prestien: „Jeden Tag werden Kinder von ihren Eltern getrennt. Mit teils traumatischen Folgen für die Kinder und Eltern. Warum?“
Seit 1989/90 dürfen Jugendämter ohne richterlichen Beschluss Inobhutnahmen durchführen. Was ursprünglich zum Schutz der Kinder geändert wurde, damit im Notfall schnelles Eingreifen möglich sei, sieht Prestien heute kritisch.
Die Einflussnahme der Jugendämter müsse reduziert werden
Seine Idee: „Wir brauchen kein Jugendamt, das Eltern bevormundet oder ihnen sagt, wie sie sich zu verhalten haben. Wir brauchen einen Behörde, die Beratungshilfe leistet.“
Die richterliche Kontrolle sollte zudem auf jeden Fall wieder eingeführt werden – im digitalen Zeitalter dürfte das auch im Notfall schnell zu erledigen sein. Doch das Jugendämter in einem das Privatleben so gravierend einschneidenden Bereich einschreiten, sei nicht mit der Struktur der Behörde vereinbar.
Grundsätzliche Kritik hält er dagegen für verfehlt: „Die machen das beste, was sie machen können. Mehr sei oft nicht drin.“ Man müsse die Frage stellen, welche Strukturen besser wären.
Familienrichter brauchen eine Zusatzausbildung
Die Justiz sei ein Papiertiger. Bislang haben Eltern nur die Möglichkeiten in die Institutionen zu rennen, doch da laufen sie dann auch auf.
Ein Gericht kann sie ja nicht aus der Verantwortung abholen. Eltern seien sich oft nicht ihrer Verantwortung dem Kind gegenüber bewusst. Hier gebe es grundsätzlich Nachholbedarf – bei Müttern und bei Vätern müsse es eine Schulung der Elternschaft geben.
„Daher brauchen wir ein Team von Leuten, die den Eltern zu Verfügung stehen, die nicht staatlich und nicht Justiz sind.“ Seine Idee ist eine interdisziplinäre Besetzung, die nicht bewertet, sondern die hilft, betreut und Nachsorge erfüllt.
Die Justiz berücksicht neue Methoden nicht
Aber auch die Familienrichter bräuchten neben ihrer juristischen Qualifikation eine Zusatzausbildung im erzieherischen, pädagogischen und kinder- und jugendpsychologischen Bereich um die Auswirkungen besser abschätzen zu können. Gut sei auch Kenntnis in Supervision.
Die Idee einer öffentlichen Verhandlung in Fällen, in denen Kinder nicht gefordert werden, sei nicht verkehrt. Auch mehr Kontrolle von Familienrechtsentscheidungen würde der Ernsthaftigkeit der Sache evtl. beiträglich sein.
Eines ist aber auf alle Fälle sicher: Eine Familienrechtsreform sei da gar nicht notwendig, vielmehr eine Reform der Ausübung.
Nicht die Gesetze seien das Problem, so Prestien, sondern die praktische Umsetzung. Hier hinkten die Gerichte und die Institutionen bei den heutigen Möglichkeiten weithinterher. Zum Schaden der Menschen und Kinder.
toller Artikel ! Chapeau.
Fast gleich hab ich das bei Leutnant Dino gelesen, der hält auch nix vom Familiengericht.