Wir waren gerade auf Deutschlandtour über den 3. Oktober. Dieses Mal waren wir auf der Deutschen Märchenstraße unterwegs.
Was ich gelernt habe: Die Grimms waren coole Typen. An der Seite von Savingny, Brentano oder Bettina von Arnim krempelten vor allem Wilhelm und Jacob das traditionell-verkorkste Deutschland des 19. Jahrhunderts um – mit Märchen und Sagen und dem Wörterbuch. Also nur mit Sprache. Und mit Bildern im Kopf. Sie gehören zu meinen großen Vorbilder.
Die Grimms dachten demokratisch, als es noch gar keine Demokratie in Deutschland gab.
Gewalt, Unterdrückung, Fremdbestimmung, Hass, Misstrauen und Angst waren damals noch viel mehr als heute an der Tagesordnung. Es gab kein Rechts- und nur ein sehr mageres Bildungssystem. Freiheit gab es nur für sehr wenige. Eine eigene Meinung war in der Regel nicht gestattet.
Frauen zu der Zeit, durften und konnte nicht arbeiten und schon gar nicht ihr eigenes Geld verdienen. Sie galten nicht als geschäftstüchtig. Sie durften sticken und musizieren und lesen, wenn der Vater oder Gatte es erlaubte. Noch heute ist das Standard in vielen Länder dieser Erde und erklärt einiges …
Frauen aus besserem Hause durften heiraten, aber selten, den Mann, den sie liebten. Eine Heirat galt dem Zweck Macht oder Herrschaft zu vergrößern. Mit einer Heirat mussten Kinder kommen, das war ihre verbürgte Aufgabe. Beides war oft sehr gefährlich, denn wenn sie einen schlechten Mann abbekamen oder es Komplikationen in der Schwangerschaft oder der Geburt gab, bedeutete das den Tod. Die größte Sterbeursache für Frauen in diesen Zeiten war das Kinderkriegen.
Ein Kind unverheiratet zur Welt zu bringen, war ein Verbrechen und wurde mit langjährigen Haftstrafen bestraft. Es spielte keine Rolle, ob Vergewaltigung der Grund für die Schwangerschaft war. Auch das ist auch heute noch in vielen Ländern dieser Welt so. Und das ist ein Verbrechen.
In dieser tristen, angstvollen und misstrauischen Zeit, entstanden die Sagen und Märchen, die schließlich im 19. Jahrhundert von den Grimm-Brüdern. Sie haben alle einen wahren Kern. Und vieles ist historisch belegt.
Mit den Märchen gelang den Grimms ein großer Kniff: Sie kritisierten die Missstände mit scheinbar harmlosen Geschichten.
Aber ihr Märchen, in denen alles gut ausgeht, konnten noch mehr: Nämlich neue Perspektiven bieten, Hoffnung machen. Aber vor allem: Die Kommunikation und Diskussion, das Bewusstsein anfeuern.
Und weil sie sich so schön erzählen und vortrugen ließen, verbreiteten sie sich noch dazu rasend schnell und trugen das Unrecht zugleich in die Häuser und Zimmer des Landes, zu den Menschen, in die anderen Länder – aber vor allem zu den Kindern. Die ja – wie immer – unsere Zukunft sind …
Und die Kinder lauschten und hörten und verstanden und lauschen bis heute, was tatsächlich gut und was schlecht ist. Was Liebe und was Hass ist – und vor allem wie man das eine oder das andere erkennen kann … Denn das ist ja bekanntlich nicht leicht.
Und noch mehr können Märchen – denn Männer und Frauen kommen hier ganz alltäglich vor, sind mal gut, mal böse, mal alt, mal voller Liebe und mal voller Zerstörung. Sie sind vielfältig, sie sind bunt. Wie das Leben eben.
Ganz neu eröffnet hat die Grimmwelt in Kassel und daraus habe ich Euch was kleines mitgebracht: Eine Übersicht zu den Familienkonstellationen in den Grimmschen Märchen. Nicht nur dass hat mir wieder mal den Blick erweitert …
Weil man es oben nicht so gut lesen kann (nächstes Mal fotografiere ich besser …), fasse ich ein paar zusammen:
Schneewittchen: Mutter tot, Vater heiratet neu. Die Stiefmutter will sie umbringen
Hänsel und Gretel: Mutter tot … Wie oben
Hans im Glück: Sohn lebt bei der Mutter
Die drei Brüder: Söhne leben bei ihrem Vater
Frau Holle: Töchter leben bei der Mutter
Rapunzel: Vater gibt sie zu einer fremden Frau, die sperrt sie in einen Turm
Rattenfänger von Hameln: Kinder gehen mit fremden Mann
Der süße Brei: Tochter lebt mit der Mutter allein
Sterntaler: Vollwaise
PS: Grimms Märchen wurden in über 160 Sprachen übersetzt. Sie sind nach der Bibel das am meisten verkaufte Buch der Welt.
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